Zuletzt aktualisiert am 09.05.2017 von
Es ist schon einige Jahre her, aber mir ist lebhaft in Erinnerung geblieben, was ein jugendlicher Mukoviszidosepatient nach unseren ersten gemeinsamen Gesprächen mitteilte. Ich erfuhr von ihm, dass er jetzt anfange, über Probleme nachzudenken, die vorher kein Thema für ihn waren. War das gut ? Hatte ich ihn aus seiner Unbeschwertheit gerissen und Beunruhigung ausgelöst ? Oder kam nun endlich das zur Sprache, was schon lange gefühlt und verdrängt worden war. Der weitere intensive Kontakt zu diesem jungen Menschen zeigte mir, dass er psychologische Begleitung annehmen und zur Klärung eigener Entscheidungen nutzen konnte. Er wurde auch mutiger bei persönlichen Gesprächen mit anderen Menschen. Der gegenseitige Austausch war für ihn besonders in der kritischen Zeit als er sich auf die Lungentransplantation vorbereitete, eine wertvolle Erfahrung. Psychologische Betreuung in Anspruch zu nehmen, kostet viele Menschen Überwindung. Es bedeutet, sich zu öffnen und anzuvertrauen. Die Befürchtung, als psychisch auffällig eingestuft und negativ bewertet zu werden, führt oft zu großer Zurückhaltung.
In Kliniken, wo es selbstverständlich ist, dass ein Psychologe zur Verfügung steht, nehmen die Patienten und die betroffenen Familien das Angebot zur psychologischen Begleitung gern an. Sie haben ihre Zurückhaltung abgelegt und sehen den Psychologen als ein Mitglied des Behandlungsteams. Aus meiner langjährigen Arbeit in der Kinderklinik ergeben sich eine ganze Reihe von psychologischen Fragestellungen, die im Rahmen der medizinischen Behandlung der Mukoviszidose entstehen. Bereits bei der Diagnosestellung, die von starken gefühlsmäßigen Reaktionen begleitet ist und schlagartig die Lebenssituation und die Perspektive der Betroffenen verändert, nimmt psychologische Begleitung einen festen Platz ein.
Junge Eltern lernen mit Problemen und Schwierigkeiten umzugehen. Sie brauchen Hoffnung und Mut, um das Leben, wie es sich ihnen bietet, als Herausforderung zu sehen. Im weiteren Verlauf ergeben sich die vielfältigen Probleme, welche die Erkrankung mit sich bringt. Es sind Fragen zum Umgang mit dem Kind, aber auch zur Einbeziehung beider Elternteile und anderer Familienmitglieder, die nicht nur ein Gespräch mit dem Arzt, sondern auch den Psychologen erforderlich machen. Familien, die aktiv sind und offen über die Erkrankung reden, finden eher einen befriedigenden Umgang mit der Erkrankung ihres Kindes.
Bei den in unserer Klinik durchgeführten Interviews zur Familiensituation zeigte sich ein häufig auftretender Problemkreis. Eltern stehen ständig unter Druck, bei ihrem Kind eine umfassende Therapie durchzusetzen. In ihrem Bemühen fühlen sie sich oft nicht anerkannt, weil die sogenannten “Erfolgskriterien”, wie vor allem das Gewicht des Kindes, nicht hinreichend sind. Die Last des Vorwurfs, nicht genügend zu tun, wiegt sehr schwer und kann zu einem gespannten Arzt – Patient – Verhältnis führen. In diesem Falle kommt dem Psychologen eine vermittelnde Rolle zu, um Vorurteile und unrealistische Erwartungen aufzuarbeiten.
Wichtig ist, das Leben des kranken Kindes nicht zu stark auf Belange der Therapie einzuschränken. Es ist ein Kind wie alle anderen auch. Es braucht vielseitige Spielmöglichkeiten, Erlebnisse mit, aber auch außerhalb der Familie, Gelegenheit sich auszuprobieren und Selbständigkeit zu erlangen. Psychologische Beratung kann bei der Wahl des Bildungsweges und bei der Berufsorientierung notwendig werden, um Überforderungen des Kindes vorzubeugen. Kinder, die zur intravenösen Therapie mehrmals im Jahr in der Klinik sind, sollen diese Zeit angstfrei und geborgen verbringen. Psychologische Methoden können dazu beitragen, Zugang zu dem zu finden, was Kinder denken und fühlen. Im Handpuppenspiel z.B. “Der Kampf der Antikörper gegen den Pseudomonas” zu einer dramatischen Handlung werden.
Der Kontakt der CF- Patienten auf der Station untereinander, der spontan entsteht oder thematisch in Gesprächsgruppen angeregt wird, vermittelt das Gefühl, nicht allein dazustehen und aktiviert Kräfte zur Selbsthilfe.
Psychische Betreuung ist nicht allein durch den Psychologen zu leisten. Gefragt ist das ganze Betreuungsteam einer Station und der zeitliche Rahmen für persönliche Zuwendung, die jedem Patienten zusteht. Die Behandlung jugendlicher und erwachsener CF- Patienten wird oft erschwert, weil die eigene Einschätzung des Gesundheitszustandes nicht mit der medizinisch feststellbaren Einschätzung übereinstimmt. Jahrelange Gewöhnung an den Körperzustand und das tief verankerte Bedürfnis, ein ganz normales Leben führen zu wollen, können einer realistischen Sicht im Wege stehen. Der angekündigte Beginn einer Sauerstofftherapie wird in diesem Zusammenhang oft nicht als Inanspruchnahme einer fortschrittlichen und effektiven Behandlungsmethode angesehen, sondern führt zu einer Verunsicherung des Patienten und Abwehrhaltungen mit der Frage “Ist es jetzt schon so weit mit mir ?”
Phasen von Therapieverweigerung sind nicht nur beim CF- Patienten Ausdruck eines kriesenhaften Verlaufs, sondern stellen auch für den Behandler und die Eltern eine erhebliche Belastung dar. Hilfreich sind hier Teambesprechungen und die regelmäßige Teilnahme der Patienten an den Visiten, in denen nicht über sie, sondern mit ihnen gesprochen wird. Gemeinsam wird versucht, akzeptable Lösungen zu erarbeiten, welche die persönliche Lebenssituation der CF- Patienten mit einbezieht. Gerade der jugendliche Patient erfährt intensiv, was es heißt mit Mukoviszidose zu leben. Er bedarf einfühlsamer und geduldiger Begleitung, und er braucht Zeit sich selbst zu finden.
Bei einer Krankheit, die noch immer nicht heilbar ist, deren Behandlungsmöglichkeiten aber zu großen Fortschritten in der Lebenserwartung geführt hat, gilt es, Lebensjahre mit Sinn und Lebensqualität zu füllen. Dies kann nur gelingen, wenn alle an der Behandlung beteiligten Berufsgruppen zusammenwirken. Einen wesentlichen Beitrag kann dazu die psychologische Betreuung leisten.
Deshalb muss auch den Krankenkassen gegenüber dieser Anspruch auf ganzheitliche Betreuung der Mukoviszidosepatienten durchgesetzt werden. Das betrifft sowohl den stationären als auch den ambulanten Bereich.
M. Trettin
Fachpsychologin der Medizin
Helios Klinkum Berlin-Buch